Ein interessantes Potpourri an Perspektiven auf das Spannungsfeld Familie und Erwerbsarbeit in der Muttertagsedition des Stader Tageblattes! Nur, es fehlt der Zusammenhang. Doch zunächst zitiere ich den hoffnungsvollen Satz der Wissenschaftlerin Barisic: „Da zurzeit viele Männer und Väter von zu Hause arbeiten und sehen, was Frauen und Mütter an Care-Arbeit leisten, könnte dies zu einer wichtigen Erfahrung werden und einen kulturellen Wandel einläuten.“
Fast hätte ich meinen Frühstückskaffee quer über den Tisch gespuckt vor Lachen. Das diese Strategie nicht aufgehen wird, kann ich mit einem jahrhunderte andauernden Langzeitexperiment belegen. Unbezahlte Versorgungsarbeit, insbesondere von Frauen verrichtet, bleibt unsichtbar - auch bei besten Lichtverhältnissen! Die – zugegebenermaßen deutlich kleinere Kontrollgruppe – männlicher Probanden berichtet dagegen mit extremen Gefühlsäußerungen konfrontiert zu sein: von staunender Sprachlosigkeit, über Ablehnung bis hin zum extrem abgefeiert werden, sei da alles dabei! Wer das nicht glaubt, kann sich als Mann gerne mal morgens in die Küche stellen, mit Ausstechformen Bentoboxen für die Kitakinder bereiten und das dort empfangene Lob „für die Mami“ ebenso non-chalant abwinken wie Leonie Ratje in ihrem Corona Tagebuch mit den Worten: „Ach, ist doch schnell gemacht. Macht mir ja auch Spaß“. Sie werden als männlicher Fürsorger bleibenden Eindruck hinterlassen. Oder einfach mal Wäsche aufhängen, wenn die Schwiegermutter da ist. Das bleibt nicht unkommentiert.
So und jetzt mal Spaß beiseite. Landrat Michael Roesberg appeliert an die Eltern, bitte noch etwas Geduld aufzubringen, denn nur weil jetzt der schöne bunte Rückkehrplan für Kita Kinder, in allen Zeitungen zu lesen war, heißt das noch lange nicht, dass dies im Landkreis so umgesetzt wird.
Komisch, warum habe ich mir das schon gedacht?
Um das Ganze einfach und kurz darzustellen:
Läden machen auf. Eltern müssen dort arbeiten gehen.
Schulen machen auf. Eltern müssen dort arbeiten gehen.
Kitas machen auf. Eltern müssen dort arbeiten gehen.
Eine Menge anderes läuft schon die ganze Zeit auf wundersame Weise so weiter als gäb's kein Corona, weil Eltern nach wie vor arbeiten.
Ganz egal, ob Home Office oder woanders, Kinderbetreuung macht Mann oder Frau nicht mal so nebenbei.
Der Umgang mit der Betreuungsfrage bzw. mit der Frage nach Verfügbarkeit von Notbetreuung für die arbeitenden Familien, dazu zählen auch Alleinerziehende, ist in diesem ländlich geprägten Raum positiv formuliert seit langem ausbaufähig, Herr Roesberg. Auch in Nicht – Corona – Zeiten, wenn die Kita geschlossen ist, Herr Roesberg, brauchen wir Notbetreuung und es gibt einfach keine! Ich habe den Eindruck, man ruht sich hier vielerorts auf dem Privileg aus, dass in den ansässigen Familien ein Elternteil, zumeist die Mutter, etwas weniger arbeitet oder – was sehr viel seltener finanziell noch möglich ist - gar nicht erwerbstätig ist und damit alles abfängt, ausgleicht und auffängt und unbezahlt als sozialer Kitt agiert. Darüber hinaus herrscht noch ein gewisser sozialer Druck, dass die gute Mutter diese Art der Selbstaufopferung ja auch höchst gerne und mit anmutiger Leichtigkeit vollzieht. Da möchte man sich ja nicht noch outen, dass man tatsächlich „Notbetreuung“ bräuchte ...
Verstehen Sie mich nicht falsch. Der Umgang mit der Notbetreuung wurde sehr unterschiedlich gehandhabt. Während ich im schulischen Kontext erlebt habe, dass unbürokratisch, Familien im Sinne einer in Anspruchnahme zu Gunsten des Kindeswohls beraten wurden, weil die überwältigende Mehrheit der Familien eben nicht losstürmt, um ihre Kinder zur Notbetreuung anzumelden, um endlich mal wieder in Ruhe Latte Macchiato schlürfen und Power Yoga machen zu können. Nein, da lagen die Nerven blank. Kinder waren aufgrund der Berufstätigkeit der Eltern täglich lange Zeit allein zuhause. Kinder verhielten sich aggressiv Geschwistern gegenüber. Die Situation beim Lernen Zuhause eskalierte oder Eltern brauchten einfach Hilfe. Diese ganz normalen Familien sollten Notbetreuung in Anspruch nehmen können, wenn es die Kapazitäten erlaubten, denn dafür ist sie da. Die Leitungen haben deshalb einen großen Entscheidungsspielraum zugestanden bekommen, den sie verantwortungsvoll nutzen.
Im Gegensatz dazu habe ich auch erlebt, dass es Einrichtungen im Landkreis gibt, deren Kapazitäten für die Notbetreuung durchaus nicht ausgeschöpft sind, die aber grundsätzlich selbst legitime Anfragen für die Notbetreuung ablehnen und zwar mit der Begründung, „die Gemeinde“ genehmige das nicht. Die abgelehnten Mütter trollen sich dann bestenfalls zunächst beschämt davon und sind hoffentlich resillient genug, sich weiter mit dem Problemfeld Erwerbsarbeit / Einkommen und Kind(er) ohne Betreuung konstruktiv auseinanderzusetzen.
Vielleicht haben die Bürgermeister und der Landrat da noch einen konstruktiven Tipp? Schreiben wir einen Brief an unsere Arbeitgeber und Kunden und bitten einfach um ein paar weitere Tage Geduld? Honorare und Gehalt werden bitte weiterhin fällig, aber arbeiten können wir leider noch nicht wieder oder wie die indischen Chemiearbeiterinnen, die ihre Kinder allein zu Hause einschlossen, wenn sie in ihre Fabriken mussten. Aber nein, sowas würde es ja hier nicht geben.
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